Wie viel Natur darf es sein?

Insektensterben, Schwund der Artenvielfalt, Biodiversität und viele mehr dieser Schlagworte wandern täglich in den Medien umher. Bilder von völlig sterilen Schotterflächen, verstümmelten Bäumen und Sträuchern und permanent gemulchten Straßenrändern lassen mich darüber nachdenken, welchen Bezug wir zur Natur anstreben. Sterben die Insekten, haben wir ja auf den ersten Blick Ruhe von vielen “lästigen” Quälgeistern könnte man meinen und wenn nichts mehr wächst, braucht man auch nichts mehr im Zaum zu halten und keine Arbeit investieren. Betrachtet man die Gartenkulturgeschichte, so ist zu sehen, dass der Mensch einen Flecken Erde der Natur abgerungen und eingezäunt hat, damit das Wilde draußen bleibt. Und plötzlich sollen wir das Wilde wieder in unsere Gärten bringen. Ist das nicht ein wenig viel verlangt? Können wir mit der Natur im Garten überhaupt umgehen oder sind die angesprochenen Ausprägungen unserer derzeitigen Gartenkultur einfach nur ein Ergebnis aus Angst die Kontrolle zu verlieren?

Unsere geliebte Klette in der Gärtnerei zog viel Aufmerksamkeit auf sich

Meinen Beobachtungen zufolge stresst viele von uns zu viel Wildwuchs. Ein Gefühl von Schlampigkeit entsteht und der Druck von allen Seiten lässt uns wieder vorzeitig zur Motorsense greifen. Wie in der Renaissance- und Barockzeit wollen wir ganz klar zeigen, dass wir die Natur im Griff haben.

Barockgarten Schloß Großsedlitz nahe Dresden

Nach den letzten hundert Jahren wirtschaften ohne Rücksicht auf Verluste ist es aber unsere Verpflichtung auf unsere Mitbewohner zu schauen. Und da hat jeder seinen Anteil zu leisten. Vom Nationalpark bis zum Hausgarten – vom öffentlichen Grün bis zur Landwirtschaft sind wir gefordert, der Natur ein wenig Raum zu lassen, um sich entwickeln zu können.

 

Die Bepflanzung bzw. Ansaat bei der Gärtnerei-Zufahrt macht einen sehr wilden Eindruck, blüht im Sommer über und über und wimmelt nur so vor Insekten.

Wir zerstören ein System, welches sich über Jahrmillionen entwickelt hat und wundern uns dann, wenn wir unsere Pflanzen wie in der Intensivstation am Tropf halten müssen. Bodengesundheit ist Pflicht für eine gesundes Wachstum und die Artenvielfalt garantiert das Gleichgewicht zwischen “Schädlichem” und “Nützlichem”. Wir Gärtner dürfen uns auch selbst oft an der Nase nehmen und darüber nachdenken, wie wir produzieren und was wir unseren Kunden verkaufen. Aber die Bereitschaft der Natur in unseren Gärten und Grünflächen ein wenig Platz zuzugestehen, sollte von jedem selbst kommen.

Keine Angst vor Wildwuchs und Gelassenheit wünscht euch Stefan Kastenhofer

(Kolumne ursprünglich im momag Magazin veröffentlicht)